Amnesty International Report / Jahresbericht 2024
Auch der Amnesty International Report 2024 (Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024) zeigt auf, dass indigene Völker weltweit internationale Unterstützung zur Wahrung und Durchsetzung ihrer Rechte benötigen. Im Folgenden finden Sie relevante Ausschnitte aus dem Jahresbericht in alphabetischer Reihenfolge nach Ländern sortiert:
Argentinien
Australien
Bangladesch
Verschwindenlassen
Nach dem Rücktritt von Sheikh Hasina wurden drei Männer, deren Verbleib mehrere Jahre lang unbekannt gewesen war, aus einer geheimen Hafteinrichtung entlassen. Bei ihnen handelte es sich um Michael Chakma, der sich für die Rechte von Indigenen eingesetzt hatte und 2019 “verschwand”; den pensionierten Brigadegeneral Abdullahil Aman Azmi, Sohn des ehemaligen Vorsitzenden der Partei Jamaat-e-Islami, dessen Verbleib seit 2016 unbekannt gewesen war; und Ahmad Bin Quasem, einen Anwalt am Obersten Gerichtshof, der ebenfalls 2016 Opfer des Verschwindenlassens geworden war.
Rechte indigener Bevölkerungsgruppen
Im April und Mai 2024 wurden im Rahmen eines Militäreinsatzes in der Bergregion der Chittagong Hill Tracts im Südosten von Bangladesch mehr als 100 Angehörige der indigenen Gemeinschaft der Bawm willkürlich festgenommen. Einer der Gründe war der Vorwurf der “Aufwiegelung” gemäß dem drakonischen Sicherheitsgesetz (Special Powers Act). Sie befanden sich Ende 2024 weiterhin in Haft.
Am 20. September kam es zu Gewaltausbrüchen zwischen bengalischen Siedler*innen und Angehörigen der Gemeinschaft der Jumma in den zu den Chittagong Hill Tracts gehörenden Distrikten Khagrachari und Rangamati. Mindestens drei Menschen starben bei den Auseinandersetzungen, 15 wurden verletzt und mindestens 50 Häuser und Geschäfte brannten nieder.
Bolivien
Brasilien
Chile
Demokratische Republik Kongo
Ecuador
El Salvador
Menschenrechtsverteidiger*innen
Die Lage für Menschenrechtsverteidiger*innen verschlechterte sich 2024 unter dem anhaltenden Ausnahmezustand beträchtlich. Laut Angaben eines lokalen Menschenrechtsbündnisses stieg die Zahl der Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen zwischen 2022 und 2023 um 24,2 Prozent. Diese Angriffe wurden meist von staatlichen Akteur*innen durchgeführt und richteten sich gegen Frauenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen und Organisationen, die sich für die Meinungsfreiheit, Frauenrechte und Umweltschutz einsetzten. Auch Menschen, die sich für die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) und indigenen Gemeinschaften einsetzten, erlitten Menschenrechtsverletzungen.
Die Schikanen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen äußerten sich u. a. in Form von polizeilichen Überwachungsmaßnahmen, Drohungen und willkürlichen Inhaftierungen. Menschenrechtsorganisationen berichteten über den Einsatz verdeckter Ermittler*innen sowie Verleumdungskampagnen in den Sozialen Medien gegen Personen, die sich für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen während des Ausnahmezustands einsetzten.
Die Regierung versuchte weiterhin, kritische Stimmen durch Kriminalisierung und Unterdrückung zum Schweigen zu bringen. Davon waren insbesondere Personen betroffen, die sich für die Rechte von willkürlich inhaftierten Personen, Umweltschützer*innen und Landrechtsverteidiger*innen einsetzten.
Fidschi
Guatemala
Indien
Manipur
Der Regierung des Bundesstaats Manipur gelang es 2024 nicht, die Gewalt zwischen der Mehrheitsgemeinschaft der überwiegend hinduistischen Meitei einerseits und der vorwiegend christlichen Minderheit der Kuki und anderen indigenen Gemeinschaften in den Bergen andererseits zu verhindern. Mitglieder der bewaffneten Bürgerwehren Arambai Tenggol und Meitei Lippun verübten in mindestens 32 Fällen geschlechtsspezifische Gewalt gegen Angehörige indigener Gemeinschaften. Die Täter wurden nicht strafrechtlich verfolgt. Im November 2024 wurden mehr als 20 Menschen in Manipur getötet und zahlreiche Häuser niedergebrannt.
Laut der Medienorganisation The Wire enthielt eine 48-minütige Audiodatei, die 2024 dem Innenministerium vorgelegt wurde, diskriminierende Äußerungen des Ministerpräsidenten von Manipur, N. Biren Singh, über die indigene Gemeinschaft der Kuki. Aus der Aufzeichnung soll auch seine offizielle Beteiligung an der anhaltenden ethnisch motivierten Gewalt hervorgehen.
Am 22. September 2024 bedrohte die Bürgerwehr Meitei Lippun den Menschenrechtler Babloo Loitongbam und seine Familie, weil er während der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen ethnischen Gruppen mit der Gemeinschaft der Kuki zusammengearbeitet haben soll.
Kambodscha
Kanada
Kolumbien
Trotz Friedensgesprächen und Waffenruhen litt die Zivilbevölkerung 2024 weiterhin unter den bewaffneten Konflikten und den damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen und Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht. Am stärksten betroffen waren indigene, afrokolumbianische und kleinbäuerliche Gemeinschaften.
Diskriminierung
Laut OCHA waren im März 2024 in Kolumbien 8,3 Mio. Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Gründe dafür waren bewaffnete Auseinandersetzungen, der Verlust angestammten Landes und der Klimawandel bzw. eine Kombination dieser Faktoren. 23 Prozent der Betroffenen gehörten indigenen oder afrokolumbianischen Gemeinschaften an.
Indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften waren zudem nach wie vor unverhältnismäßig stark von Menschenrechtsverletzungen und Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht betroffen. Die Menschenrechtsorganisation CODHES gab im Dezember 2024 an, dass mindestens 2.446 Afrokolumbianer*innen, die in kollektiven Territorien unter gemeinschaftlicher Verwaltung (Consejos Comunitarios) lebten, Opfer großangelegter, massenhafter Vertreibungen geworden seien. Etwa 8.336 Angehörige indigener Gemeinschaften in Reservaten seien ebenfalls dieser Art von Vertreibung zum Opfer gefallen. Die zuständige Ombudsstelle berichtete am 5. November 2024, dass 50 Prozent der von bewaffneten Gruppen rekrutierten Minderjährigen aus indigenen Gemeinschaften stammten.
Die Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen war in ländlichen Gebieten besonders ausgeprägt und richtete sich in erster Linie gegen Personen aus kleinbäuerlichen, indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften. Von den insgesamt 355 Angriffen, die die Organisation Programa Somos Defensores von Januar bis Juni 2024 registrierte, richteten sich 111 gegen führende Angehörige indigener Gemeinschaften, vier gegen afrokolumbianische und 39 gegen kleinbäuerliche Sprecher*innen.
Mexiko
Rechte indigener Gemeinschaften
Am 30. September 2024 trat eine Verfassungsänderung in Kraft, die die Rechte indigener und afromexikanischer Bevölkerungsgruppen auf Selbstbestimmung und auf freie, vorherige und informierte Zustimmung anerkannte. Allerdings wurde von zivilgesellschaftlichen Organisationen kritisiert, dass bestimmte Rechte wie z. B. Landrechte nicht in der Verfassungsreform enthalten waren, was die strukturellen Ungleichheiten verstärke und die Umsetzung der Reform erschweren könne.
Laut zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden Angehörige indigener Gemeinschaften aufgrund von Gewalt vertrieben. Dies betraf die Bundesstaaten Michoacán (mindestens 110 binnenvertriebene Indigene), Chihuahua (251) und Chiapas (mindestens 8.190 Vertriebene, die meisten von ihnen Indigene). Rund 600 Menschen aus dem Bundesstaat Chiapas machten sich auf den Weg nach Guatemala, um dort Schutz zu suchen.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Die im Dezember 2023 eingeweihte Intercity-Eisenbahnlinie Maya-Zug (Tren Maya) auf der Halbinsel Yucatán war 2024 trotz ökologischer und menschenrechtlicher Bedenken weiter in Betrieb. Die vorgebrachten Bedenken betrafen die Verschmutzung von Wasser und Böden, die mögliche Beeinträchtigung der Migrationsrouten und Lebensräume von Tieren, negative Folgen für die biologische Vielfalt der Region sowie Auswirkungen auf den Zugang indigener Gemeinschaften zu Nahrungsmitteln.
Namibia
Nicaragua
Papua-Neuguinea
Paraguay
Philippinen
Russland
Im Juni 2024 verbot der Oberste Gerichtshof auf Antrag des Justizministeriums die sogenannte “antirussische Separatistenbewegung” mit der Begründung, dass es sich um eine “extremistische” Organisation handle. Es existierte allerdings gar keine Organisation dieses Namens. Im Anschluss an das Urteil listete das Justizministerium im Juli 55 Organisationen auf, die dieser angeblichen Separatistenbewegung angehören sollen und deshalb als “extremistisch” gelten, darunter auch Organisationen indigener Gemeinschaften.
Uganda
Exzessive und unnötige Gewaltanwendung
Die Behörde Uganda Wildlife Authority (UWA) setzte auch 2024 unverhältnismäßige und unnötige Gewalt ein, um die indigene Gemeinschaft der Benet am Zugang zu ihrem angestammten Land im Wald von Mount Elgon zu hindern.
UWA-Beamt*innen schossen im Distrikt Bukwo auf mindestens drei Angehörige der Benet; ein Mann wurde verletzt, zwei Minderjährige getötet. Am 28. Mai 2024 schoss ein Behördenvertreter Kibet Silas Rukut in dessen Zuhause ins Bein. Laut Angaben von Kibet Silas Rukut geschah dies, weil er sich geweigert hatte, seine Kühe von der Stelle wegzubringen, wo sie weideten. Der UWA-Mitarbeiter hatte zuvor behauptet, die Kühe befänden sich auf dem Gebiet des Nationalparks von Mount Elgon – dieses ist umstritten. Kibet Silas Rukut meldete den Vorfall auf der Polizeiwache von Bukwo.
Am 4. Juni 2024 wurde der 16-jährige Marko Kipsang Gemeindesprechern zufolge beim Grassammeln im Wald erschossen. Gemeindemitglieder marschierten daraufhin protestierend zum Büro des leitenden Beamten der Distriktverwaltung, wurden aber angewiesen, die Ermittlungen zu dem Vorfall abzuwarten.
Am 6. September 2024 erschoss ein UWA-Angehöriger den 13-jährigen Sukuku Emmanuel Joshua. Gemeindesprechern zufolge wurde der Junge in seinem Dorf getötet und nicht im Wald, wie Vertreter der UWA behaupteten. Bei einer Obduktion im Allgemeinen Krankenhaus von Bukwo wurde die Kugel aus seinem Leichnam geborgen, und die UWA zahlte seiner Familie 5 Mio. Uganda-Schilling (rund 1.300 Euro) für die Beerdigungskosten.
Die Behörden gaben keine Informationen über Ermittlungen zu diesen Vorfällen bekannt.
Recht auf Wohnen
Am 12. Januar 2024 führten Bedienstete der Hauptstadtbehörde in Kampala (Kampala Capital City Authority – KCCA) im Einvernehmen mit dem Ministerium für Geschlechterfragen, Arbeit und soziale Entwicklung sowie mit Unterstützung der Polizei eine nächtliche bewaffnete Razzia in den Katwe-Slums in Kampala durch und nahmen dabei 773 Kinder und 142 Frauen aus der indigenen Gemeinschaft der Karamojong fest. Die Kinder wurden in das Kinderdorf Masulita gebracht, ein Kinderheim im Distrikt Wakiso, das von der NGO Uganda Women’s Effort to Save Orphans geführt wird. Laut Angaben der KCCA erfolgte die Razzia, um Obdachlose im Vorfeld des Gipfeltreffens der G77-Staaten und dem Gipfel der Bewegung der Blockfreien Staaten von den Straßen Kampalas zu holen. Den Familien wurden keine Alternativunterkünfte zur Verfügung gestellt.
Kinderrechte
Einige zur indigenen Gemeinschaft der Karamojong gehörende Eltern berichteten einer lokalen Kinderrechtsorganisation, ihre Kinder hätten durch die Razzien und Festnahmen in den Katwe-Slums im Januar 2024 (siehe “Recht auf Wohnen”) physisch oder psychisch Schaden genommen. Die Kinderrechtsorganisation erfasste die Namen von mindestens 500 Kindern, die sich unter den Hunderten, die ins Kinderdorf Masulita gebracht worden waren, nicht finden ließen und auch Ende 2024 noch vermisst wurden. Die Organisation brachte die Festnahmen mit Kinderhandel in Verbindung, der nach ihren Angaben vom Staat unterstützt wurde.
Venezuela
In der strategischen Entwicklungszone Arco Minero del Orinoco waren die Rechte der indigenen Bevölkerung nach wie vor durch illegale Bergbauaktivitäten und Gewalt bedroht. Mitarbeiter*innen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) wurden des Landes verwiesen.
Recht auf Gesundheit
Der CERD-Ausschuss kritisierte, dass nur ein eingeschränkter Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung bestand, vor allem in ländlichen Gegenden und in Gebieten, die überwiegend von indigenen Gemeinschaften bewohnt waren.
Rechte indigener Gemeinschaften
Die Interamerikanische Menschenrechtskommission zeigte sich besorgt über die anhaltenden Auswirkungen des illegalen Bergbaus auf das Leben, die Gesundheit und das Überleben des indigenen Volkes der Yanomami, insbesondere in der strategischen Entwicklungszone Arco Minero del Orinoco. Die Menschenrechtskommission warnte vor den akuten Gesundheitsfolgen für die indigenen Gemeinschaften durch die Verunreinigung von Gewässern mit Quecksilber, insbesondere in der Amazonasregion. Diese wirke sich auf die Jagd- und Fischgründe aus und verschärfe die Mangelernährung.